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ie Unterweisung in Sachen Lamaismus ist streng und lastet auf den Gemütern der
Gläubigen, es wird höchste Zeit, die Stimmung wieder aufzulockern. Jetzt treten clownhafte Tänzer auf den Plan, die als Spaßmacher die Narrenfreiheit genießen, selbst die heiligsten
Szenen zu persiflieren. Mit ihrem Ulk bringen sie das Volk immer wieder zum Lachen, was bei der bisweilen fast bedrohlichen Ernsthaftigkeit des Schauspiels ungeheuer befreiend wirkt.
Einen besonderen Höhepunkt markiert der Auftritt des großen Lehrmeisters und Magiers Padmasambhava mit seiner Goldmaske, denn schließlich ist es ja vor allem sein Ehrenfest.
Sein Tanz zelebriert seinen Sieg über die Bön-Gottheiten und Dämonen und die Bekehrung der Himalajabewohner zum Buddhismus/Lamaismus. Zum Ausklang setzt meistens das Erscheinen
des Totengottes Yama noch einmal einen dramatischen Akzent. Während sich die Musik ekstatisch steigert, zerhackt Yama mit seinem Schwert am Boden liegende Teigfiguren
(Lingas), die an vorbuddhistische Blutopfer erinnern und wirft sie in alle Himmelsrichtungen. Damit hat er endgültig das Böse besiegt, für ein weiteres Jahr werden Glück und Frieden im
Land herrschen. Ein höchst eindrucksvolles Schauspiel geht zu Ende, mit dem es der Buddhismus immer wieder versteht, althergebrachte Traditionen mit neuen religiösen Inhalten
zu füllen und seine Lehre im Volk zu verwurzeln.
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LAMAISMUS - DIE KERNBOTSCHAFT DES BUDDHISMUS BLEIBT
ll die inneren Reformen und Wandlungen sowohl durch die Einflüsse des Tantrismus als
auch der Bön-Religion haben den tibetischen Buddhismus/Lamaismus, wie ausgeführt, in mancher Hinsicht verändert. Der Bön-Glaube bescherte ihm den reichen Pantheon von
Schutz- und Meditationsgottheiten, die durch gleichfalls vom Bön übernommene magische Rituale und okkulte Praktiken gewogen gestimmt werden mussten. Als Vermächtnis des
Tantrismus wurden ihnen ihre weiblichen Entsprechungen als „Gattinnen“ zur Seite gestellt, die den jeweiligen Weisheitsaspekt und die schöpferische Energie der Gottheit verkörpern.
Auch die Meditationsgottheiten selbst erlangten unter dem Einfluss des Tantrismus als sog. “Yidams” zentrale Bedeutung für die religiöse Praxis, indem sie als ganz wesentlicher Aspekt
der Meditation in Mandalas visualisiert werden. Bei dieser meditativen Begegnung mit den Gottheiten werden mystische Symbole und Silben herangezogen und auch das berühmte
buddhistische Mantra „Om mani padme hum“ ist insofern tantrischen Ursprungs. Insgesamt haben diese Einflüsse die Erscheinungsform des tibetischen Buddhismus/Lamaismus nachhaltig
geformt und ihm sein heutiges ausdrucksvolles, farbiges Gepräge, aber auch seine magische Ausstrahlung gegeben.
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ll dies sollte jedoch nicht den gänzlich falschen Eindruck entstehen lassen, dass dadurch
ein neuer, anderer Buddhismus entstanden wäre. Unbeschadet aller äußerer Veränderungen und adaptierter Erweiterung von Glaubensinhalten sowie den damit verbundenen religiösen
Praktiken wurde die essentielle Botschaft des Buddhismus dadurch in keiner Weise verändert. Sowohl Hinayana, Mahayana, Lamaismus oder auch Zen-Buddhismus verkünden die gleiche
Lehre von der Unbeständigkeit des Lebens, der Vergänglichkeit aller Dinge, die ohnehin nur Illusionen sind. Nach dem Vorbild Buddhas soll sich deshalb der Gläubige auf den Weg der
(Selbst)Erkenntnis begeben und von allen irdischen Leidenschaften und Begierden befreien. Er soll so sein Bestreben auf die Erleuchtung und Erlösung im ewig unabänderlichen Nirwana
richten, um dadurch eine unerschütterliche Geistesklarheit und erhabene Seelenruhe zu gewinnen.
EPILOG - DIE HEUTIGE SITUATION IN TIBET
in Beitrag über den Lamaismus, den tibetischen Buddhismus, selbst wenn er wie hier
einen anderen thematischen Hintergrund hat, kann als Ausklang sicher nicht umhin, auf die gegenwärtige Situation des Buddhismus in Tibet einzugehen. Mit dem Begriff
„Tragödie“ ist diese noch stark verharmlosend beschrieben. Seit dem militärischen Überfall der Chinesen auf Tibet im Jahr 1951 sind Millionen Tibeter der brutalen Repression zum Opfer
gefallen. Unterdrückung, Folter und Mord nehmen bis heute kein Ende. Schlimmer noch, versuchen die Besatzer neuerdings, durch Überfremdung mit Han-Chinesen und
Zwangsheirat die ethnische und kulturelle Identität des tibetischen Volkes zu vernichten. Zwangsläufig war als Folge dieser Unterdrückung das
religiöse Leben in Tibet zeitweise nahezu zum Erliegen gekommen.
um Glück konnten der Dalai Lama und nach und nach auch ein Großteil der religiösen
Führer nach Dharamsala in Nordindien ins Exil flüchten. Hier ist es ihnen gelungen, wieder einen vitalen und kraftvollen Hort des tibetischen Buddhismus zu errichten, um so religiöse
Werte und Traditionen sowie einen kulturellen Kern Tibets so weit wie möglich zu bewahren.
Dank der überragenden geistigen Autorität des derzeitigen 14. Dalai Lama mit seiner typisch buddhistisch-friedvollen Gesinnung strahlt dieses Anliegen inzwischen mit großem Erfolg weit in die
Welt hinaus. Es ist erstaunlich und ermutigend zugleich: Während die Chinesen Tibet mit brutaler Gewalt unterdrücken, übt der Geist Tibets einen ständig wachsenden Einfluss auf die
Welt aus und noch nie konnte sich der Buddhismus so weit auch in die westliche Welt verbreiten.
offnung und Zuversicht für das Überleben und Wiederauferstehen des tibetischen Buddhismus mag auch ein
Blick auf die Geschichte Tibets und den tibetischen Volkscharakter geben, wie es Lama Anagarika Govinda im Vorwort zu seinem Buch „Der Weg
der weißen Wolke“ sinngemäß so überzeugend formuliert: Trotz primitiver Lebensverhältnisse und der wilden Natur des Landes haben die Tibeter eine hohe, aus dem reichen Quell ihrer
Religion schöpfende Kultur, nicht Zivilisation. Es ist gerade die Härte des Lebens und der unbarmherzige Kampf gegen die Mächte der Natur, die den Geist der Tibeter geschärft und
ihren Charakter geformt haben. Hierin liegt die unversiegbare Kraft, die sie am Ende über alle äußeren Mächte bestehen lässt. Von dieser Stärke gibt die Geschichte Tibets beredt Zeugnis,
denn schon mehrfach wurde es von Feinden überrannt und von ebensolchen Katastrophen betroffen wie gegenwärtig. Etwa zur Zeit des bereits erwähnten Königs Langdarme, der im
Zuge der Auseinandersetzung zwischen Bön-Religion und Buddhismus den Thron von Lhasa okkupierte und den Buddhismus mit Feuer und Schwert verfolgte. Die Tibeter haben sich
jedoch nie einem Eroberer gebeugt.
in noch überzeugenderes Beispiel hierfür ist die Art, wie die Tibeter durch geistige
Überlegenheit ihre Eroberung durch die mongolischen Horden Kublai Khans zu verhindern vermochten. Indem sie ihn und seine Krieger zum Buddhismus bekehrten, wurden kriegerische
Horden, die die Welt in Angst und Schrecken versetzten, zu einem friedvollen Volk. Noch nie hat jemand Tibet betreten, ohne auf Dauer seinem Zauber zu verfallen. Und warum sollte
deshalb eine gewisse Läuterung der Haltung Chinas gegenüber Tibet undenkbar sein?
olche Gedanken lassen die weitere Zukunft des tibetischen Buddhismus und damit auch
Tibets selbst nicht aussichtslos erscheinen. Doch eines ist gewiss: Tibet wird nie wieder das Alte sein, selbst wenn es seine Unabhängigkeit wieder gewinnen sollte, was derzeit kaum
vorstellbar ist. Es wird nur unter veränderten politischen Konstellationen überleben können. Doch darauf kommt es gar nicht an. Der Buddhismus sträubt sich nicht gegen Veränderungen,
denn er erkennt den ewigen Wechsel als die Natur allen Lebens uneingeschränkt an. Wichtig ist nur, um noch einmal an die Gedanken Lama Anagarika Govindas anzuknüpfen, dass die
Kontinuität und das Bewusstsein der geistigen Kultur Tibets nicht verloren geht, damit künftige Generationen ermutigt und inspiriert werden, neues Leben auf den Fundamenten
einer erhabenen Vergangenheit zu bauen.
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